Industriegeschichte: 200 Jahre John Cockerill

Mit dem Kauf des Geländes um das Schloss von Seraing bei Lüttich begann 1817 die Geschichte des Industrie-Imperiums des Engländers John Cockerill in Belgien. Cockerill hatte damals dem Herrscher über das damalige Belgien, Wilhelm von Oranien, das Schloss abgekauft, um von dort aus seine ersten Werke zu errichten. Begonnen hat die Geschichte der Familie Cockerill aber schon viel früher etwas östlicher von Lüttich.
AP2006

John Cockerill, einer der Mitbegründer der Industriellen Revolution, kam im Jahr 1790 in Lancashire zur Welt. 1799 siedelte sein Vater, William Cockerill, ins belgische Verviers über, denn dort hatte die Tuchmacherindustrie bereits ihr Zuhause.

Das lag damals am für diesen Industriezweig wichtigen „weichen Wasser“, das durch das Wesertal strömte. Bereits mit 18 Jahren spielte John im Unternehmen des Vaters eine wichtige Rolle.

Dieser baute für die Tuchmacher Webmaschinen und andere schwere Werkzeuge und zu deren Antrieb Dampfmaschinen, die es bis dato in Europa außerhalb der britischen Inseln noch nicht gab.

Und es war nicht zuletzt die Dampfmaschine, die die Industrielle Revolution in Gang brachte. Daran hatte John Cockerill größten Anteil, wie die Ausstellung „John Cockerill, 200 Jahre Zukunft“ im „Musee de la Boverie“ in Lüttich gerade eindrucksvoll unter Beweis stellt.

Interaktive und moderne Ausstellung

Die Lütticher Cockerill-Ausstellung zeigt auf vielfältige Weise den Weg Cockerills durch die Geschichte der Industrie, die in dieser auch „Feurige Stadt“ genannten Maas-Metropole ihren Anfang nahm. Mit historischen Gemälden, Stichen und Fotos, aber auch über Hologramme, 3D-Brillen, Filme, Schautafeln und digitalem Blättern in Büchern von damals zieht sich die Geschichte des englischen Industriellen bis heute durch und endet mit der aktuellen Form des Unternehmens, das heute CMI heißt, was so viel wie „Cockerill Mechanical Industries“ bedeutet.

Als Cockerill 1826 den ersten mit Dampf betriebenen Hochofen in Betrieb nimmt, nimmt die Geschichte ihren Lauf. Die Belgische Revolution 1830 mit der Staatsgründung als direkte Folge, sorgte nur kurz bei Cockerill in Lüttich für Spannung. Schon 1835 fährt in Belgien auf der Strecke Mechelen-Brüssel die erste Eisenbahn auf dem europäischen Festland und die Lokomotive, „Le Belge“, wurde bei Cockerill gebaut.

Die Eisenbahn spielt bei dem Lütticher Unternehmen eine große Rolle, denn hier werden viele Dampfloks (und später auch Dieselloks) gebaut, sowohl für die Staatsbahn, als auch für viele Industrieanlagen und weitläufige Werke. Darunter ist auch die Stromliniendampflok der Baureihe 12 (Baujahr 1939) von der heute das letzte Exemplar im Eisenbahnmuseum „TrainWorld“ in Brüssel/Schaarbeek zu sehen ist.

Neben großen Industrie- und Dampfmaschinen oder Lokomotiven und anderer Banntechnik bildet sich mit dem Schiffbau ein weiterer wichtiger Schwerpunkt bei Cockerill: Der Schiffbau. Dazu entsteht 1874 in Hoboken bei Antwerpen eine Werft: Cockerill Yards. Hier entstehen bis 1959 rund 800 Schiffe, darunter Kriegsschiffe, Kreuzer, Hochseefrachter und fast alle Schiffe der „Compagnie Maritime Belge du Congo“, die Belgien mit seinen Kolonien verband.

Darunter war auch die „Charlesville“, ein Schiff, das Jahrzehnte lang als „MS Georg Büchner“ in Rostock noch als Schulschiff und Jugendherberge gedient hat und die, als sie vor einigen Jahren sank, wahrscheinlich einem Versicherungsbetrug zum Opfer fiel…

Die beiden Weltkriege im 20. Jahrhundert konnten Cockerill nicht viel anhaben, denn längst war das Unternehmen mit seinem Imperium auch in Russland und China aktiv. Zwar hatten die Deutschen die Fabriken des Unternehmens während des Ersten Weltkriegs leergeräumt, doch schon 1919 ging es dort weiter. Und im Zweiten Weltkrieg wurden hier Kriegslokomotiven für die Deutsche Reichsbahn gebaut… „Sir“ John Cockerill indessen verstarb 1840 unter bis heute ungeklärten Umständen in Warschau. Sein Leichnam wurde damals einbalsamiert, aber erst 27 Jahre später nach Lüttich gebracht, wo er im Garten des Stammsitzes der Familie beerdigt wurde.

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Stapellauf bei den Cockerill Yards in Hoboken

Der Konzern geht in vielen anderen Unternehmen auf…

Wie vielen anderen traditionsreichen Industriekonzernen erging es im Laufe der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auch der SA John Cockerill. Teilbereiche wurden von anderen Gruppen übernommen und die Gruppe selbst investierte in Konkurrenz-Unternehmen. Dabei passieren Namen wie EKO Stahl ebenso Revue, wie Cockerill-Sambre, Arbed oder Usinor. Das Meiste gehört heute zur weltumspannenden indischen ArcelorMittal-Gruppe, doch im Lütticher Raum ist noch immer die CMI aktiv, die neben dem Metall- und Stahlbereich auch in der Medizin, der Wasseraufbereitung, der Eisenbahn, der 3D-Drucktechnik oder der Rüstung unterwegs ist.

Dies alles bereitet die Ausstellung „John Cockerill, 200 Jahre Zukunft“ auf eindrucksvolle und frische Art und Weise auf. Diese Ausstellung ist familienfreundlich gestaltet und konsequent in den vier Sprachen Französisch, Niederländisch, Deutsch und Englisch aufgebaut - sehr lobenswert, wenn auch mit kleinen aber zu vernachlässigenden Fehlern. Einige der Exponate kommen übrigens aus dem MAS, dem „Museum am Strom“ in Antwerpen.

Schade ist nur, dass die Ausstellung im Museum „La Boverie“ im gleichnamigen Park an der Maas ausgerechnet jetzt läuft. Sie begann fast zeitgleich Anfang Juni mit der Examenszeit für Schüler und Studenten und endet am 17. September, just dann, wenn die Unterrichte wieder losgehen. Für Schulklassen wäre ein so moderner und zeitgenössischer Einblick in einen wichtigen Teil der Industriegeschichte keine schlechte Sache. Hoffentlich finden während den Sommerferien viele Touristen und Ausflügler den Weg nach Lüttich.

Info: www.cockerill200.be

Standbeine Rüstung und Schiffbau

Deutsch mit kleinen Fehlern...

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Die Ausstellung zeigt viele historische Cockerill-Maschinen

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