Software für mehr Züge in Brüssels Nord-Süd-Tunnel?

Ein schier unlösbarer Problemfall in Sachen Pünktlichkeit bei der belgischen Eisenbahn ist das Nadelöhr Nord-Süd-Tunnel, der die Brüsseler Bahnhöfe Nord, Kongress, Zentral, Kapellekerk/Chapelle und Süd/Midi miteinander verbindet. Jetzt schlägt Bundesverkehrsministerin Jacqueline Galant (MR) vor, eine Software entwickeln zu lassen, die 30 % mehr Züge pro Stunde durch diesen Tunnel fahren lassen soll.

Eigentlich ist an der Enge des Nord-Süd-Tunnels der Brüsseler Bahnhöfe nicht viel zu ändern. Im Bereich Zentralbahnhof (Foto oben) bündelt dieser Tunnel sechs Gleise, drei in jede Richtung. Jede Infrastrukturmaßnahme, dieses Problem zu lösen, würde unzählige Millionen Euro verschlingen und stieße mit Sicherheit auf Widerstand bei den Brüsselern, die den Einschnitt in ihre Stadt durch den Bau des Bahntunnels, des Metrotunnels und der Magistralen durch ihre Innenstadt bis heute nicht vergessen haben, stoßen.

Gegenüber der mehreren Brüsseler Medien sagte Verkehrsministerin Galant (kl. Foto) jetzt, dass eine passende Lösung eine Software sein könnte, die den Bahnverkehr durch den Nord-Süd-Tunnel automatisieren kann und dadurch die Kapazität der Zugdichte um bis zu 30 % erhöhen soll. Im Ausland habe sie solche Projekte kennengelernt, so Galant und Bahnchef Jo Cornu sei bereits auf ihrer Seite.

Das System soll folgendermaßen funktionieren: Fährt ein Zug in die Zone Brüssel ein, übernimmt die Software die Arbeit des Lokführers, bis der Zug die Hauptstadt wieder verlässt. So arbeiten auch die Hochgeschwindigkeitslinien in Belgien, bei denen die Lokführer nur noch in Sonderfällen in die Fahrt eingreifen müssen. Die Verkehrsministerin will, dass die belgische Bahngesellschaft NMBS/SNCB und deren Infrastrukturdienstleister Infrabel so schnell wie möglich einen entsprechenden Auftrag zur Entwicklung ausschreiben.

Theorie und Praxis…

In der Theorie mag diese Idee plausibel erscheinen, doch in der Praktik muss man sich schon Fragen stellen. Die Brüsseler (Haupt)Bahnhöfe sind Anschlussbahnhöfe, in denen die Reisenden von einem Zug in den anderen umsteigen und sie sind die Bahnhöfe einer Stadt, in der Zehntausende, die hier nicht wohnen, arbeiten. Und nicht zuletzt zieht Brüssel auch enorm viele Touristen an, die mit dem Zug hierherkommen.

Soll die von Galant geförderte Software auch in diese Reisenden eingebaut werden, damit die Massen auch fahrplanmäßig aus-, ein- und umsteigen können. Oder gilt hier die Aufmerksamkeit einmal mehr nur dem reibungslosen Bahnbetrieb, nicht aber den Fahrgästen?

Vielleicht sollten unsere Verkehrspolitiker und Bahnmanager mal nur einen Monat lang mit den öffentlichen Verkehrsmitteln (nach Brüssel) zur Arbeit fahren. Dann würden sie sehen, dass sich zwischen Theorie und Praxis ein Graben auftut, der kaum mit „nützlicher“ Infrastruktur zu überwinden ist.

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