Hoher Schuldenberg: Die Bahn privatisieren?

Bahnchef Jo Cornu (Foto) befürchtet, dass die belgische Bahngesellschaft NMBS/SNCB über kurz oder lang privatisiert werden muss, wenn die Schulden nicht unter Kontrolle gebracht werden können. In einem offenen Brief an die Gewerkschaften bittet der Bahnchef die Eisenbahner, wieder Sozialverhandlungen aufzunehmen.

„Seit 2005 macht die NMBS/SNCB jedes Jahr zwischen 200 und 250 Mio. € Verlust. Wenn wir noch fünf Jahre so weiter machen, dann belaufen sich die Schulden auf 4 Mia. €. Das scheint niemanden wirklich zu beunruhigen, während die finanzielle Situation ganz einfach unhaltbar ist.“, schreibt Bahnchef Jo Cornu laut der flämischen Wirtschaftszeitung De Tijd in seinem offenen Brief an die Gewerkschaften.

Diese dramatische Lage wird weiter verschärft, denn die neue Mitte-Rechts-Regierung verlangt von der NMBS/SNCB in den kommenden Jahren 663 Mio. € einzusparen. Jetzt ist für den Bahnchef offenbar der Zeitpunkt gekommen, um das Ruder umzuwerfen. Cornu warnt eindringlich: „Fährt die NMBS/SNCB auf dem heutigen ineffizienten Gleis weiter, dann droht nichts anderes als die Privatisierung.“

Vor diesem Hintergrund ruft der Bahnchef die Gewerkschaften bei der Eisenbahn dazu auf, wieder zu Sozialverhandlungen zurückzukehren. Das wird kein leichtes Unterfangen, denn die Gewerkschaften stehen mit Cornu leidlich auf Kriegsfuß. Vor einigen Wochen hatte er fallen lassen, dass die Bahnbeschäftigten führ ihr Gehalt härter arbeiten sollen. Damals versprach er aber, den Eisenbahnern einen Brief zu schreiben, um das Verhältnis mit ihm wieder ins Lot zu bringen.

Vizepremier versucht, die Gemüter zu beruhigen

Vizepremier- und Bundesarbeitsminister Kris Peeters (CD&V) versuchte am Donnerstag nach der Warnung von Bahnchef Cornu vor der Privatisierung der belgischen Bahngesellschaft NMBS/SNCB die Gemüter zu beruhigen. Peeters gab zwar gegenüber den VRT-Mittagsnachrichten zu, dass die Akte NMBS/SNCB ein schwieriges Dossier sei, doch Gründe für eine besondere Besorgnis liegen nicht vor: „Es gibt keinen Grund, für Panik zu sorgen. Jemand, der Panik säht, erntet nichts. Das ist in dieser Situation auch nicht gefragt. Eine Panikstimmung ist für niemanden gut: Nicht für die Bahn, nicht für die Fahrgäste und auch nicht für die Regierung.“

"Ein solches Schreiben nicht erwartet"

„Dies ist nicht der Brief, den wir erwartet haben“, sagte Jean-Pierre Goosens von der sozialistischen Eisenbahnergewerkschaft ACOD Schiene in einer Reaktion gegenüber der VRT-Nachrichtenredaktion. Goosens und seine Kameraden sind denn auch nach der Lektüre des Schreibens von Bahnchef Cornu ziemlich beunruhigt: „Ich habe schon einige Reaktionen von den regionalen Delegierten erhalten. Diese erwarten, dass dadurch einiges an Spannungen aufgebaut wird.

Der sozialistische Eisenbahngewerkschaftler lehnt eine Privatisierung der belgischen Bahn kategorisch ab: „Ich gehe davon aus, dass der öffentliche Verkehr in der Zukunft derart wichtig wird, dass man ihn am besten nicht aus der Hand gibt.“

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