Die längste Regierungsbildung der Welt

Am Donnerstag wird der bisherige Weltrekord der längsten Regierungsbildung aller Zeiten gebrochen. Belgien ist dann seit 249 Tagen ohne Regierung und hat damit den Irak geschlagen. Den belgischen und den Europarekord hat die belgische Bundespolitik schon länger hinter sich gelassen.

2007 wurde eine neue belgische Bundesregierung erst nach 194 Tagen gebildet und den Europarekord, den unsere niederländischen Nachbarn mit 208 Tagen hielten, brach auch unter dem belgischen Einfluss zusammen. Jetzt konnte auch der Weltrekord gebrochen werden. Ein Grund zum Feiern ist das nicht unbedingt, wenn es auch verschiedener Orts zu Volksfesten kommt. Dieser Rekord zeigt vielmehr auf, dass die lange Zeit legendäre Kompromissfähigkeit der Belgier auf politischer Ebene an ihre Grenzen gestoßen ist.

Seit dem Urnengang am 13. Juni 2010, als in Belgien ein neues Bundesparlament gewählt wurde, geben sich Unterhändler, Informatoren, Regierungsbildner und anders bezeichnete Verhandlungsführer bei König Albert II. die Klinke in die Hand. Keiner schaffte es bisher, den Knoten der politischen Zwistigkeiten zwischen Flamen und Französischsprachigen mit Sonderfall Brüssel zu entwirren, um eine konstruktive Mehrheit bilden zu können.

Diese Mehrheit soll nicht einfach eine beliebige Regierung sein. Sie muss viel mehr stemmen können, als nur die eigentliche Regierungsverantwortung. Sie soll eine umfassende Staatsreform auf den Weg bringen. Eine Staatsreform, die eine weitgehende Föderalisierung von bisher staatlichen Befugnissen mit sich bringen soll - sprich Ländern und Regionen eine weitestgehende Autonomie bieten muss.

Es dürfte noch Monate dauern, bis Belgien über eine neue vollwertige Regierung verfügt. Man muss kein großer Wahrsager sein, um einzusehen, dass noch viel Zeit vergehen wird, bevor ein neuer Mieter in die Brüsseler Adresse Wetstraat N°16, der Sitz der belgischen Bundesregierung, einziehen wird.

Wie soll es weiter gehen?

Bis dahin muss die am Donnerstag seit 249 Tagen geschäftsführende Bundesregierung weiterarbeiten, im Rahmen ihrer Befugnisse. Das Ausland im Allgemeinen und die Europäische Union im Besonderen warten dringend auf eine belgische Regierung. Haushalt, Euro, Stabilitätspakt, Wirtschaftskrise, Wettbewerbsfähigkeit und anderes mehr sind nur einige Punkte, die einer Lösung harren - national, wie auch international.

Zu einer Notregierung, wie sie 2007 unter Guy Verhofstadt fungierte, wird es nicht kommen, denn davon will niemand in der belgischen Politik etwas wissen. Dies würde bedeuten, dass die geforderte Staatsreform, wie damals schon, einmal mehr auf die lange Bank geschoben würde. Mittlerweile haben auch die Parteien im frankophonen Landesteil Belgiens begriffen, dass eine solche Staatsreform - von Flandern schon lange gefordert - unumgänglich ist.

Die erste Hürde, die unbedingt genommen werden muss, ist der Staatshaushalt 2011. Das belgische Parlament hat bereits einen Etat gutgeheißen, doch ist ein vollwertiger Haushalt mit richtungweisenden politischen Entscheidungen, mit Geld für neue Initiativen und gesetzlichen Regelungen, mit dringend nötigen Spar- und Sanierungsmaßnahmen auf diesem Weg ausgeschlossen. Dazu bräuchte es eine legitimierte Regierung.

Die Regierung macht weiter wie bisher

Die scheidende Regierung Leterme II wird jedoch vorerst weiter gehen als einer geschäftsführenden Regierung laut Verfassung eigentlich erlaubt ist. Das sogenannte Kernkabinett der Regierung hat sich bereits auf eine Vorgehensweise geeinigt und auch aus der demokratischen Opposition heraus ist man nicht abgeneigt.

Die flämischen Nationaldemokraten der N-VA sind einverstanden, wenn die ergriffenen Maßnahmen nicht zu weit gehen und unbesprochenen Themen der Staatsreform nicht vorgreifen. Ecolo, Groen! und SP.A sieht darin Möglichkeiten, den vom belgischen Monarchen beauftragten Vermittlern / Informatoren / Unterhändlern / Kundschaftern den notwendigen Spielraum zu verschaffen. Derweil gehen die Verhandlungen weiter und weiter.

Unterdessen werden Formeln gesucht, die einen Ausweg aus der Staatskrise bieten und König Albert II. ist von mal zu mal wieder die wichtigste Instanz im Staat - auch wenn dies den vornehmlich aus Flandern stammenden Republikanern das Blut in den Adern stocken lässt.

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