Weniger Terrordossiers - Problem Radikalisierung

Dieses Jahr, knapp zwei Jahre nach den Anschlägen auf Brüssel, wurden bei der Bundesstaatsanwaltschaft in Brüssel deutlich weniger Ermittlungen in Terrordossiers eröffnet, als in den Jahren zuvor. Auch die Zahl der Meldungen zu potentiellen Gefährdern oder zu möglichen Anschlägen ging merklich zurück. Die Ermittlungsdienste warnen aber vor allzu viel Optimismus, denn die Radikalisierung von Islamisten sei noch nicht vorbei.

Spätestens seit den Anschlägen auf Paris im November 2015 und den direkten Verbindungen zu Terrorzellen in Belgien ist unser Land im Bann des Terrors. Dann kamen im März 2016 die Anschläge auf Zaventem und Brüssel und wiederum Fälle von aktiven Terrorzellen in unserem Land. Nicht zuletzt schlossen sich viele junge Moslems aus Belgien Terrororganisationen, wie dem IS an und zogen nach Syrien oder in den Irak.

2016 eröffnete die Staatsanwaltschaft 273 Dossiers und im Jahr darauf 251 Akten. In den ersten drei Monaten des laufenden Jahres wurden aber bisher „nur“ 44 Ermittlungen aufgenommen. Entwarnung soll das nicht bedeuten, doch Bundesstaatsanwalt Frédéric Van Leeuw (kl. Foto) sieht auch Vorteile darin, wie er gegenüber VRT NWS erklärte:

„Der Rückgang ermöglicht uns, mehr in der Tiefe arbeiten zu können, mehr Links zwischen verschiedenen Fällen legen zu können und Figuren zu beobachten, die im Hintergrund auftauchen. Vielleicht ist da nicht viel, doch wir sagen, sie sind möglicherweise so wichtig, dass wir dran bleiben. Und wir wollen natürlich alle Fälle, in denen wir ermitteln, auch vor Gericht bringen.“

Organisierte Kriminalität und Radikalisierung

Staatsanwalt Van Leeuw erinnert auch daran, dass seine Behörde nicht nur für Terrorfälle zuständig ist, sondern auch für Ermittlungen gegen das organisierte Verbrechen: „Es ist auch wichtig, hier wieder mehr zu investieren und den Kampf gegen die organisierte Kriminalität wieder mehr aufzunehmen. Natürlich ist Terrorismus schrecklich und hat einen großen Impakt, doch das organisierte Verbrechen sorgt täglich für Opfer.“

Man dürfe aber keines Falls davon ausgehen, dass die Terrorgefahr jetzt gewichen ist, so Van Leeuw: „Wir dürfen hier nicht einschlafen. Momentan haben wir vielleicht etwas mehr Zeit, um auf anderen Ebenen zu arbeiten, doch die Radikalisierung bleibt ein Problem. Wir müssen weiter daran arbeiten, um für diese Problematik weiter Lösungen zu finden.“

Dieser Ansicht ist auch Jaak Raes, der Leiter der belgischen Staatssicherheit (kl. Foto): „Es ist nicht so, weil das Kalifat in Syrien und im Irak nicht aufgebaut werden konnte, dass es sich nicht in andere schwache Staaten verlagert. Es ist auch nicht so, dass die Radikalisierung in den Köpfen dadurch ausgerottet ist. Es mag pessimistisch klingen, doch ich bin der Ansicht, dass Radikalisierung und Dschihad Phänomene sind, die uns noch einige Jahre lang beschäftigen werden.“

Jugendliche, Rückkehrer und Familien

Es bleibt wohl weiter ein Problem, dass Jugendliche noch stets empfänglich für die Botschaften des IS sind - auch in Belgien. Auch bei den Nachrichtendiensten und bei der Bundesstaatsanwaltschaft muss man daran weiterarbeiten, der Propagandamaschine der IS etwas entgegenzusetzen. Dessen sind sich alle Beteiligten bewusst.

Die Frage, die die Gesellschaft in Belgien ebenfalls beschäftigt, ist die nach dem Umgang mit Rückkehrern aus den IS-Konfliktgebieten. Dazu gehört auch der Umgang mit den auch aus Belgien stammenden Frauen von gefallenen oder inhaftierten Kämpfern und deren Kinder, die oftmals in Syrien oder im Irak zur Welt gekommen sind. Und was ist mit älteren Kindern, die dort bereits in jungen Jahren auf den Dschihad programmiert wurden?

Der belgische Staat gibt an, genau wie andere westliche Staaten nicht aktiv an der Rückkehr von Frauen oder von Kindern aus dem Kalifat zu arbeiten. Verschiedene politische und humanistische Kreise sehen dies anderes, z.B. auch der belgische Kommissar für Kinderrechte, Bruno Vanobbergen (kl. Foto). Er ist der Ansicht, dass sich der Staat mit diesen Kindern sehr wohl zu beschäftigen habe.

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