Regionale Zuständigkeiten in Frage gestellt

Alexander De Croo (Open VLD - Foto), Vizepremierminister und Bundesminister für Entwicklungszusammenarbeit, digitale Agenda, Telekommunikation und Post, stellt in einem offenen Brief im flämischen Wochenmagazin Knack einige an Länder und Regionen abgegebene Zuständigkeiten in Frage und kann sich vorstellen, diese wieder vom Föderalstaat aus zu verwalten.

Der flämische Liberale De Croo ist der Ansicht, dass im Falle von nicht zustande kommenden Einigungen zwischen Ländern und Regionen in Belgien in bestimmten Fällen der Föderalstaat wieder zuständig sein müsse und notfalls Dossiers an sich ziehen sollte. De Croo hat für seinen Ansatz ein treffendes Argument, denn er stellt fest, dass eine Mehrheit in einer Region über die Blockierung eines Dossiers durchaus Verhandlungen beeinflussen könne: „Blockierung ist inzwischen zu einer akzeptierten und gebräuchlichen Verhandlungsstrategie geworden.“

Nicht nur aus diesem Grunde ist der Bundesminister davon überzeugt, dass die belgische föderalisierte Staatsform derzeit nicht die beste ist. De Croo nennt Deutschland, Kanada und auch die USA als Beispiele dafür, dass ein föderalisierter Staat sehr wohl funktionieren könne: „Das sind Stück für Stück Beispiele für wohlhabende Volkswirtschaften und das sind auch föderale Staaten.“

An Beispielen fehlt es de Croo zur Unterstreichung seiner Argumente nicht. Er nennt z.B. den CETA-Handelsvertrag zwischen Kanada und der Europäischen Union, dessen Unterzeichnung von Belgien aus monatelang verhindert werden konnte: „Hier haben wir uns international ins Zentrum der Schlagzeilen gesetzt, weil unser Land nicht eine sondern sieben Unterschriften unter diesen Vertrag setzen musste.“

Doch nicht nur die CETA-Saga stößt De Croo übel auf, sondern auch die Verkehrspolitik, die unterschiedlichen Fluglärmnormen um den Nationalflughafen in Zaventem herum, die Ausweitung des 4G-Mobilfunknetzes und nicht zuletzt die Blamage um das noch zu bauende Eurostadion und die Tatsache, dass durch Streitigkeiten zwischen Flandern, der Brüsseler Hauptstadtregion und betroffenen Gemeinden letztendlich keine Spiele der Fußball-EM in Europa hier in Belgien ausgetragen werden.

In dieser Frage deuteten inzwischen sogar einige Brüsseler Regionalpolitiker an, hier solle der Staat das Heft in die Hand nehmen, zumal Premierminister Charles Michel (MR) vor einigen Tagen mal angedeutet hatte, hier hätte die regionale Seite "einiges vermasselt"...

Die 6. Staatsreform und der "Stecker von De Croo"

Aus diesen und anderen Gründen will der liberale flämische Bundesminister das Tabu der Neuverhandlung einiger föderaler Bereiche brachen. Das ausgerechnet Alexander De Croo diese Frage aufwirft, mag überraschen. Er war es, der 2010 den „Stecker“ aus der Regierung Leterme II nach den ewigen zwischengemeinschaftlichen Streitigkeiten zum damaligen Wahl- und Gerichtsbezirk Brüssel-Halle-Vilvoorde zog und für damit Neuwahlen und die längsten Koalitionsverhandlungen der belgischen Geschichte sorgte, deren Gespräche letztendlich die 6. Staatsreform brachten.

Diese Staatsreform brachte Ländern und Regionen in Belgien eine große Zahl an neuen Zuständigkeiten, die der Föderalstaat abgeben musste. Heute steht Alexander De Croo nach eigenen Angaben wohl mehr denn je hinter der föderalen bzw. föderalisierten Staatsform Belgiens, in der Länder, Regionen und Gemeinschaften umfangreiche Befugnisse haben. Doch der flämische Liberale ist auch der Ansicht, dass die belgische Bundesregierung durchaus Dossiers an sich ziehen soll, falls es zwischen den einzelnen Landesteilen auf Dauer in Verhandlungen nicht zu einer Einigung kommt, wenn dies dem Ansehen und dem Funktionieren des Staates abträglich sein könnte.

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