Nase voll von der PS: CDH verlässt alle Mehrheiten

Nach den jüngsten Skandalen um Ämterhäufungen und überhöhte Bezüge in Verwaltungsgremien von Kommunalverbänden bei den frankophonen Sozialisten PS gab der Vorsitzende der Zentrumspartei CDH, Benoit Lutgen (Foto), jetzt bekannt, dass seine Partei alle Mehrheiten in den Regionen verlassen wird. Er rief die anderen frankophonen Parteien dazu auf, es ihm gleich zu tun und nach alternativen Mehrheiten zu suchen.

Die politische Krise in der Wallonie und in Brüssel scheint komplett. Während die skandalgeschüttelte PS gerade versucht, einen Weg aus der Krise zu finden, in dem Ämterhäufungen vermieden, verringert oder verboten werden sollen hakt Koalitionspartner CDH ab und verlässt alle Mehrheiten. Die frankophone Zentrumspartei will nicht mehr länger mit der PS regieren.

CDH-Parteichef Benoit Lutgen rief die anderen Koalitionspartner im frankophonen Spektrum dazu auf, es ihm gleich zu tun. Damit spricht er konkret die Grünen von Ecolo, die Liberalen der Reformbewegung MR und die radikalfrankophone Défi an, die gemeinsam mit CDH und PS in den verschiedensten Regierungen der Regionen sitzen, die da sind: Wallonische Region, Französische Gemeinschaft und die Region Brüssel-Hauptstadt.

Die Vorgehensweise der frankophonen Zentristen kommt als eine regelrechte Überraschung, galt die CDH (früher PSC) doch jahrelang als Mehrheitsbeschaffer für die Sozialisten. Doch jetzt hat die CDH die Nase voll, da ihrer Ansicht das gesamte politische Geschehen im französischsprachigen Belgien unter der PS-Skandalitis leide. Allerdings ist die liberale MR auch nicht ohne Fehler, wie auch aus diese Partei betreffenden Problemen bekannt ist (siehe Kasachgate).

Politisches Fazit

Ohne die CDH haben die Regierung der Wallonischen Region und der Französischsprachigen Gemeinschaft keine Mehrheit mehr. CDH-Politiker hatten in erster Linie Ministerien für Bildung und für Umwelt inne. Ob diese Minister jetzt zurücktreten, bleibt fraglich. Oder soll das bedeuten, dass die PS rausgeworfen wird, falls alternative Mehrheiten gebildet werden können?

Rasch nach Lutgens Bekanntgabe sagte Olivier Chastel, der Vorsitzende der frankophonen Liberalen MR, er sei bereit dazu, sich mit anderen Parteien an einen Tisch zu setzen, um neue Mehrheiten zu bilden. Die MR will noch am Montagabend in einer Vorstandssitzung besprechen, wie man sich mit dieser neuen politischen Situation auseinandersetzen soll. Chastel ist der Ansicht, dass der Stillstand in den Regionen durch die PS-Skandale beendet werden müsse. Die PS-Mandatsträger und -Minister würden sich derzeit ohnehin lediglich damit beschäftigen, wie sie ihre Pöstchen retten könnten…

"Enorme Verantwortung"

In einer Pressemitteilung heißt es bei Lutgen: „Nach 30 Jahren ununterbrochener Macht trägt die PS eine enormes Ausmaß an Verantwortung in den sich wiederholenden Skandalen.“ Gleichzeitig fordert der Vorsitzende der Zentrumspartei, dass die Zahl der Gremien zu öffentlichen Einrichtungen erheblich gesenkt werden müsse und dass ein neuer Elan durch die Bevölkerung möglich gemacht werden soll, die auf der Suche nach neuen Perspektive sei: „Wir haben die Kraft, die Kapazitäten und die Quellen. Die Frankophonen haben Talente in Hülle und Fülle und sie haben starke Werte. Lasst uns die mobilisieren!“

Die PS spricht von "Verrat"

Die PS scheint die Ankündigung der CDH, alle Koalitionen mit der PS abzublasen, ins Mark getroffen zu haben. Am Nachmittag reagierte die Partei auf den wohl ehemaligen Koalitionspartner mit dem Vorwurf des „Verrats“ und warf der CDH vor, sich „unverantwortlich zu verhalten“ und „zu desertieren“.

Die frankophonen Sozialisten geben dazu an, dass auch andere Parteien in die „Affären“ verwickelt seien: „Jetzt, wo die PS deutlich eine Stellung zur Ämterhäufung bezieht, hat die CDH offenbar die Angst gepackt“, heißt es in einer Pressemitteilung der Partei.

„Die PS hat alle notwendigen Schritte unternommen, um das Vertrauen der Bürger in die demokratischen Einrichtungen wiederherzustellen. Intern geht die Arbeit weiter und die PS hofft, dass sie die Unterstützung der anderen Parteien bekommt.“

Keine Auswirkungen auf die Bundesebene

Sowohl Premierminister Charles Michel (MR), als auch Bart De Wever, der Vorsitzende der flämischen Nationaldemokraten N-VA (die größte Partei im belgischen Bundesland Flandern), gaben an, dass die Entscheidung der CDH, auf regionaler Ebene nur noch ohne die PS koalieren zu wollen, keinen Einfluss auf die föderale Regierung in Brüssel habe. Michel twitterte dazu: „Wir sind vier Parteien und wir machen zu viert weiter. (…) Die Bundesregierung hält an ihren Reformen fest.“

N-VA-Parteichef Bart De Wever gab dazu an, man beobachte die Ereignisse in der frankophonen politischen Landschaft „mit Interesse“, doch dies habe, was seine Partei betrifft, keine Auswirkungen auf die föderale Ebene: „Die N-VA lenkt auf flämischer und föderaler Ebene und arbeitet jeden Tag an der Veränderung. In Flandern haben wir einen ausgeglichenen Haushalt und sorgen für Restriktion und für Verschlankung. Dank der Maßnahmen der Bundesregierung wurden die Lasten gesenkt, lebt die Wirtschaft auf und dreht der private Jobmotor wieder. Wir wollen bis 2019 vor allem stabil weiterarbeiten.“ Auf föderaler Ebene gehören weder die PS, noch die CDH zur Mehrheit.

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