"Wenn Belgien ein gescheiterter Staat ist, dann sind die US Afghanistan"

"Belgien sei ein komplexer Staat", fasst die Situation ein niederländischer NOS-Korrespondent vorsichtig zusammen, während andere internationale Korrespondenten, die Molenbeek offenbar nur aus dem Fernsehen kennen, Stimmen munter beipflichten, die von Belgien als einem gescheiterten Staat sprechen. Howard Gutman, der ehemalige US-Botschafter in Belgien, der dieses Land wohl besser kennt als mancher Korrespondent, sagte an diesem Sonntag in unserem Sender: "Das einzige Scheitern, das man Belgien vorwerfen kann, ist, dass das Land anderen die Kontrolle über die Berichte überlassen hat - zunächst Frankreich und dann den internationalen Medien, CNN."

Innerhalb einer Woche habe Belgien sich plötzlich in einen Ebola-Virus verwandelt, so Gutman in der VRT.

Die Fakten seien hingegen ziemlich klar: Belgien stehe laut dem Global Peace Index (der das friedliche Zusammenleben von Ländern, anhand von Indikatoren wie dem Mord- und Terrorrisiko, misst, Red.!) auf dem 14. Platz. "Großbritannien steht auf Platz 39, mein Land, die Vereinigten Staaten, auf 94", so Gutman.

"Ja, Sie haben Regionen und verschiedene Parlamente, aber wenn Belgien ein gescheiterter Staat ist, dann sind die US Afghanistan."

"Die Befugnisse sind zersplittert, nicht nur politisch, sondern auch bei der Polizei, aber das ist Demokratie", betont Gutman. "Wäre das an meinem Wohnort in den USA passiert, hätten Sie das FBI, die Maryland State Troopers, die Montgomery County Police und die Rockville City Police, die vor Ort ausgerückt wären. In einer Demokratie gibt es verschiedene Gerichtsbezirke. Die müssen lernen, zusammenzuarbeiten. Wenn Sie wirklich effizient sein wollen, dann gehen Sie nach China. Dort gibt es kein Problem Sie haben eine einzige Idee, keinen Konflikt", betonte Gutman mit ironischem Unterton.

In einer Demokratie habe man mehrere Institutionen und die Frage sei, ob diese gut funktionierten. "In Belgien hat es keine Anschläge gegeben. Der terroristische Angriff auf das jüdische Museum, das war ein Franzose, der für einen Tag nach Belgien kam."

"Hier geht es aber nicht um Frankreich oder Belgien. (...) Nicht Belgien sollte beschuldigt werden. Ihr habt CNN und andere über Euch bestimmen lassen", meint Gutman. Die internationalen Medien müssten einfach ihre Zeitungen verkaufen und da käme eine Nachricht wie Dschihadismus in Molenbeek gerade gelegen.

Gutman sei oft in Molenbeek gewesen. Doch wenn er in Parks in New York, Washington, Los Angeles oder Molenbeek nachts alleine spazieren gehen würde, wäre statistisch gesehen die Gefahr nicht einmal annähernd so groß. "Der sicherste Spaziergang heute nacht wäre Molenbeek."

Gescheiterter Journalismus

Es sei ein gescheiterter Journalismus, eine gescheiterte Berichterstattung, aber sie werde Belgien weh tun, prophezeit Gutman.

Und er liegt mit seiner Einschätzung schon sehr nahe an der Realität. Als Menschen in Amerika gehört hätten, dass er nach Belgien zurückfliegen würde, hätten sie ihm gesagt, sie würden für ihn beten. Er sei auch schon in Afghanistan gewesen - doch für ihn beten, weil er nach Belgien ginge?

"Ich habe ihnen gesagt: 'Schaut Mal, das größte Risiko, das ich hier eingehe, ist ein erhöhter Cholesterinspiegel wegen des guten Essens!'"

Doch es sei ein Problem, dass Amerikaner ihre Reisen nach Belgien, Frankreich und überhaupt nach Europa massenhaft für dieses Weihnachten absagten und auch für nächstes Weihnachten - es sei denn, das Image ändert sich.

Die Wirtschaft in Belgien hängt von der Dienstleistung und dem Tourismus ab. Den Belgiern ist das jedoch nicht klar. "Ihr Belgier seid wie Barack Obama. Ihr wisst, dass Ihr so gut seid, dass Ihr das den anderen Leuten nicht sagen müsst?"

Tipps von Gutman

Das Problem sei auch, fährt Gutman fort, dass Ihr die Berichte kontrollieren müsst. "Wenn die internationalen Medien die Botschaft kontrollieren, wird Belgien dafür bezahlen."

"Ihr müsst die Botschaft ändern!"

"Viele Leute haben lange Zeit von Belgien profitiert. Jetzt ist es an der Zeit, für Belgien einzutreten. Wenn ich die Regierung wäre, würde ich zunächst die Wirtschaft ansprechen. Ich würde mit jeder internationalen PR-Firma sprechen und vor allem auch mit denen, die mit den EU-Institutionen zusammenarbeiten. Brüssel ist ihr zweitgrößtes Büro."

Gutman sagte weiter, er würde Werbefilme produzieren lassen, um das echte Belgien zu zeigen. Und was die Sicherheit betreffe: "Investieren Sie in die Sicherheit, aber sagen Sie auch deutlich, dass sich die Leute keine Sorgen machen müssen und dass man alles unter Kontrolle habe."

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