Die Sechste Staatsreform ist in trockenen Tüchern

Am Dienstagabend legte die Comori genannte Arbeitsgruppe aus den sechs Mehrheitsparteien plus den beiden Grünen-Parteien das Abkommen zur sechsten Staatsreform in Belgien vor. Über diese Einigung wird möglich, das Koalitionsabkommen zur Staatsreform vom Herbst 2011 im belgischen Gesetz zu verankern.

Premierminister Elio Di Rupo (PS) und die Vertreter der in der Comori-Gruppe sitzenden acht Parteien traten am Dienstagaabend sichtlich zufrieden vor die versammelte Presse. „Wir präsentieren die sechste Staatsreform, die größte und umfangreichste, die unser Land je erlebt hat.“, sagte Di Rupo dazu.

Mit der sechsten Staatsreform verlagert sich der Schwerpunkt der Befugnisse in Belgien vom Föderalstaat in Richtung Länder und Regionen. Flandern, die Wallonie, die Region Brüssel-Hauptstadt und die Deutschsprachige Gemeinschaft können demnach in Zukunft über wesentlich mehr Mittel und Zuständigkeiten verfügen, als bisher.

Das Finanzierungsgesetz, dass die Verteilung der Finanzen regelt und um das am längsten gefeilscht wurde, tritt am 1. Juli 2014 in Kraft. Insgesamt werden an die Länder und Regionen Zuständigkeiten in Höhe von rund 20 Milliarden € übertragen. Damit werden die Haushalte von Ländern und Regionen um etwa 40 % aufgestockt.

Das Abkommen und dessen in Kraft treten am 1. Juli 2014 beenden de facto die institutionelle Krise, die Belgien seit 2010 in ihrem Bann hielt.

Einzelne Punkte

Verkehr

Verkehr bleibt staatliche Materie, doch einige Bereiche werden in die Verantwortung von Ländern und Regionen gegeben, z.B. Geschwindigkeitsregelungen auf dem öffentlichen Straßennetz (außer Autobahnen), TÜV, Fahrschulen und Führerscheinprüfungen (nur die Ausstellung des Führerscheins bleibt staatlich. Zudem erhalten Länder und Regionen Sitze im Verwaltungsrat der belgischen Staatsbahn NMBS/SNCB. Es wird auch möglich, von regionaler Seite her eigene Investitionen in Bahnbereiche auszuführen.

Kindergeld, Wohnbonus

Die Verteilung des Kindergeldes, der Geburtsprämien und der Adoptionsprämien ist ebenfalls bald Ländersache. Damit gehen sechs Milliarden € an die Regionen, etwa 6 % der gesamten sozialen Sicherheit.

Jeder Kreditnehmer zum Wohnungskauf, Hauskauf oder Hausbau konnte bisher - je nach Einkommen des Haushalts und je nach Höhe der Hypothek - einen Teil davon steuerlich geltend machen. Dieser Teil des Steuersystems wird ebenfalls Ländersache, sprich: Länder und Regionen können selbst bestimmen, wie die Hypotheken belasten oder in welcher Höhe der steuerliche Freibetrag liegend darf. Auch über die Verwendung dieser Steuereinnahmen kann selbst bestimmt werden.

Dienstleitungsschecks, Arbeitsmarkt

Viele Arbeitsplätze in Belgien sind ABM-Maßnahmen, die über so genannte Dienstleistungsschecks bezahlt werden. Kunden können Dienstleistungen über diese Schecks erwerben und der Staat zahlte eine Summe hinzu, die es dem Arbeitnehmer erlaubte, einen vernünftigen Lohn zu erhalten. Die Anforderungen an die Bezieher von Arbeit über Dienstleistungschecks bleiben staatlich, doch die Systeme werden regional. Dazu werden 1,4 Mia. € an Länder und Regionen übertragen.

Die Arbeitslosen- und Arbeitsmarktpolitik wird ebenfalls weitgehend Ländersache. Die Kontrolle und Sanktionierung von Arbeitslosen fällt ebenso unter die neuen Zuständigkeiten, wie die Begleitung und die Aktivierung von Arbeitsuchenden. Da die regionalen Arbeitsämter aber nicht unbedingt gleichzeitig Berater, Begleiter und Kontrolleur sein wollen, können sie das föderale Arbeitsamt in Zukunft mit Kontrollaufgaben beauftragen.

Finanzierungsgesetz vs. Staatshaushalt

Wie viel Geld steht dem Föderalstaat zur Verfügung, wie viel Geld bekommen die Regionen und Gemeinschaften? Darüber wurde lange gestritten. Länder und Regionen bekommen neue Zuständigkeiten im Gegenwert von rund 20 Milliarden €. Zur Verfügung gestellt werden aber nur rund 90 % der entsprechenden Mittel.

Das bedeutet, dass Länder und Regionen (bzw. danach auch Städte und Gemeinden) nach Übertragung der neuen Zuständigkeiten und der daran gebundenen Finanzen schon sparen müssen. Die übrigen 10 %, 1,4 Mia. €, bleiben nämlich beim Föderalstaat um den Haushalt auszugleichen, bzw. den Anforderungen der Europäischen Union zu genügen.

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