Das Seemannshaus in Antwerpen macht dicht

Das "Internationaal Zeemanshuis" in der Hafenstadt Antwerpen wird geschlossen. Das Gebäude aus dem Jahr 1954 muss einem Städtebauprojekt weichen. Damit verliert die Seefahrt in der Scheldemetropole einen traditionsreichen Ort. Wie ein Ersatz aussehen könnte, ist noch unklar.

Dass das Seemannshaus in Antwerpen geschlossen und abgerissen wird, scheint nicht mehr zu vermeiden zu sein. Der Staatsrat in Brüssel hat Einsprüche einer Bürgerinitiative zum Erhalt des Standorts gegen den Abriss verworfen.

Demnach scheint der Weg für die Stadt Antwerpen, das Gelände im "Schipperkwartier“, dem einst berühmt-berüchtigten Seeleute-Viertel unweit des Stadtzentrums, einer neuen Verwendung zuzuführen. Dort, in der Nähe des trendy Viertels "Einlandje“, sollen moderne Wohnungen, Büros und Geschäfte entstehen. Das Grundstück unweit des bald zu eröffnenden "Museums am Strom“, kurz MAS, ist viel Geld wert…

Inzwischen wurden bereits Architektenwettbewerbe ausgeschrieben und die Stadt wählte gemeinsam mit Projektleiter SD Works einen Entwurf der Rotterdammer Büros Rapp+Rapp und West 8 aus. Widerstand gegen das Projekt scheint wohl ausgeschlossen zu sein.

"Sauber, sicher und gemütlich"

Es stimmt, was Karin erzählte. Das "Internationaal Zeemanshuis“ in Antwerpen ist blitzblank geputzt, es herrscht eine warme und gemütliche Atmosphäre und alles wirkt sicher und aufgeräumt. Die angehende Erste Offizierin studiert in der Scheldemetropole nautische Wissenschaften und erzählte, dass sie einige Male im Seemannshaus gewohnt hat. In einer Zeit während des Studiums war sie lange Monate auf See und brauchte demnach keine Studentenbude.

So zog sie ins Seemannshaus, wenn sie in Antwerpen sein musste. Hier fühlte sie sich wohl und sicher. Karin ist bestürzt über die Nachricht, dass diese traditionsreiche Institution dicht gemacht wird. Sie hat sich hier als Frau gerne niedergelassen, auch wenn sie nicht oft hier war.

Louis Van den Abbeele, der Direktor des Internationalen Seemannshauses, wunderte sich darüber, dass mit Karin eine Frau in seiner Institution übernachtete, doch er kennt natürlich nicht alle Menschen, die hierher kommen. Aus seinem gemütlichen aber in die Jahre gekommenen Büro heraus, hat er eher selten Kontakt zu den Gästen.

Der Direktor versteht die Überlegung, sein Haus zu schließen und es für ein Immobilienprojekt zu opfern und abzureißen, nicht. Für ihn hat das Gebäude eine eindeutige soziale Funktion. Nicht nur Seeleute aus aller Herren Länder kommen hierher. Das Haus fungiert als Hotel auch für Jugendgruppen, für Rucksacktouristen und auch als Anlaufstation für die Nachbarn. Hierzu gehört zum Beispiel ein Theater mit rund 30.000 Besuchern pro Jahr und jeder kann den einen oder anderen Versammlungs- oder Ausstellungsraum mieten.

Hoher Besetzungsgrad und Gäste aus 72 Nationen

Frauen, die alleine im Seemannshaus wohnen oder übernachten, sind wohl eher selten und die angehende Erste Offizierin Karin scheint eine Ausnahme zu sein, wie Louis Van den Abbeele bemerkt. Doch für viele ist sein Haus eine wichtige Anlaufstelle. Im vergangenen Jahr übernachteten hier Matrosen, Kapitäne und Offiziere zur See aus 72 Nationen und der Belegungsgrad des Hauses ist hoch.

Dauergäste sind keine mehr hier. Eine Zeit lang haben hier einige ältere Matrosen gelebt. Diese Männer waren ihr Leben lang zur See gefahren und hatten in Belgien keine Angehörigen mehr. Doch sie sind nicht mehr hier. Allerdings haben einige Seeleute im Seemannshaus ihre feste Adresse. Sie verbringen ihr Leben auf hoher See und haben in ihrer Heimat keine feste Bleibe. So gesehen, ist das Seemannshaus ihr Zuhause.

Die meisten Gäste des Hauses sind Philippinen. Die meisten von ihnen fahren auf internationalen Schiffen von Billigreedereien über die sieben Meere und haben hier in Liegezeiten oder bis ihre Schiffe neue Aufträge haben, ein Dach über dem Kopf. Ihre Reedereien zahlen 47 € für eine Übernachtung, genauso viel, wie jede hier ankommende Privatperson. Kommen aber Seeleute auf eigene Initiative hierher, gilt ein Sozialtarif von 25 € - zumindest für einfache Matrosen oder Seeleute niedrigerer Grade.

Früher wurde das "Internationaal Zeemanshuis“ von der Stadt Antwerpen bezuschusst, doch die Subsidien wurden vor einigen Jahren gestrichen. Seit fünf Jahren lebt man hier im Ungewissen.

Unsichere Zukunft?

Direktor Louis Van den Abbeele sagt, dass niemand aus dem Personal entlassen werden soll, wenn das Haus dichtgemacht und abgerissen wird. Angeblich will die Stadt Antwerpen das Docks Hotel an der Noorderlaan kaufen und als Seemannshaus einrichten.

Derweil heißt es abwarten und die fünf Weltuhren in der Eingangshalle ticken nicht anders als sonst. Inzwischen geht im Seemannshaus der Lauf der Dinge weiter. Einem Matrosen wird an der Rezeption freundlich geholfen. Selbst das Reinigungspersonal mischt sich lächelnd in solche Gespräche ein, was von den oft einsamen Seeleuten gut aufgenommen wird.

In einem Sessel sitzt ein ukrainischer Matrose auf gepackten Sachen, doch mehr als "Ukrrainn, Ukrrainn! So farr frromm home!“ ist ihm nicht zu entlocken...

Derweil nehmen zwei Antwerpener Stadtstewards Platz an einem Tisch, um mit einigen Personen Gespräche zu führen. Es wird gelacht, die Stimmung ist locker. Spätestens jetzt wird jedem Besucher deutlich, wie wichtig die soziale Funktion dieser Einrichtung ist. Ob das Docks Hotel an der Noorderlaan im Hafengebiet eine ähnliche Stellung einnehmen kann, ist wohl eher Wunschdenken, denn dort fehlt die Nähe zum Stadtzentrum.

Wer sich von der Wärme dieses Gebäudes und der Menschen, die darin leben und arbeiten, überzeugen will, der muss sich beeilen. Die Schließung des Baus, ein zwar nicht gerade schöner Hochbau in tristem Grau, steht für September an. Die Gaststätte des "Internationaal Zeemanshuis“ ist für jedermann geöffnet. Und eine Übernachtung in einem Haus voller Matrosen kann bestimmt eine tolle Sache sein.

Infos und Geschichte: www.zeemanshuis.be
 

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