Die Höhere Seefahrtschule in Antwerpen

Die Höhere Seefahrtschule in Antwerpen bildet Seeleute aller Art aus. Das können Kapitäne und Personal für die Brücke von Hochseefrachtern oder Kreuzfahrtschiffen sein, aber auch Mechaniker, die sich um den Unterhalt von Schiffsdieseln auf hoher See kümmern. Sogar die belgische Marine lässt an dieser international renommierten Schule Personal ausbilden. Das Gebäude, in dem die Höhere Seefahrtschule ihren Sitz hat, ist ebenso interessant, wie die Geschichte der Ausbildung von Seeleuten in Antwerpen.

Aus den Archiven der Stadt ist ersichtlich, dass die Kunst der Seefahrt hier bereits seit dem 14. Jahrhundert unterrichtet wird. Während der Franzosenzeit wurde der Seefahrtunterricht in der Scheldestadt strukturiert und im damaligen Arsenal untergebracht. Ab 1802 hab es auch eine Marine- und Handelsschifffahrtschule in der Antwerpener Handelsbörse („Handelsbeurs“). Schon Napoleon zeigte an der bereits damals hochangesehenen Antwerpener Ausbildung für Seeleute großes Interesse, wie Dr. Rowan Van Schaeren (Foto unten), der Direktor der Schule erzählte.

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Während des Ersten Weltkriegs fielen die Unterrichte allerdings aus, doch rasch nach Kriegsende brauchte das Land neue führende und gut ausgebildete Seefahrer und Kapitäne, nicht zuletzt, um die Verbindung mit den Kolonien in Zentralafrika (Kongo, Ruanda und Burundi) wieder aufzunehmen. Auch die rasant größer werdende Handelsflotte suchte händeringend Personal und die improvisierten Unterrichte stießen an ihre Grenzen.

Also schrieb die damalige Belgische Seefahrtvereinigung 1929 einen Wettbewerb für den Bau einer neuen Schule aus. Ein passendes Grundstück wurde im Norden der Royersschleuse gefunden und zwar am Noordkasteel, ein Teil der alten Anterpener Festungsanlagen unweit vom heutigen Hafen 50 am Amerikadock, wo die Schelde auf die Hafenanlagen stößt.

Damals umstritten, heute ein hochgeschätztes Denkmal

Fünf Projekte wurden damals eingereicht und das sogenannte „Mercator-Projekt“ (eine Referenz an das Schulschiff „Mercator“, dass schon damals eine wichtige Rolle spielte) von Mathieu und Josse Van Kriekelaere (Vater und Sohn) bekam den Zuschlag. Diese beiden aus Mechelen stammenden Architekten, die in Brüssel ihr Atelier hatten, zeichneten übrigens auch die Bahnhöfe von Brügge und von Dendermonde (Ostflandern). Die Bauarbeiten begannen 1931 und ein Jahr später wurde die Höhere Seefahrtschule eröffnet. 1959 kam ein Anbau, der sich aber nahtlos an die klassische Struktur des Gebäudes anpasste.

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Das Gebäude der Höheren Seefahrtschule entstand aus Stahlbeton mit Elementen aus Belvédère-Ziegeln und Blaustein. Die Form verweist auf die Seefahrt bzw. auf ein Passagierschiff aus der damaligen Zeit. Die abgerundete Westseite stellt den Bug dar, der Mittelteil wohl den Schiffskörper und die Dachterrasse und der hintere Bereich mit seinem Uhrenturm zeigt eine Brücke. Ein bisschen mutet der Bau wie von der Hand des Architekten Henry Vande Velde an.

Das kommt nicht von ungefähr, denn diese Art der Zeichnung und Planung lag seinerzeit im Trend. Und doch fand der Bau zunächst keinen großen Applaus. Berichte aus den damaligen Tageszeitungen zerreißen das Projekt. Es sei hässlich hieß es damals und einer Schule, wie der Höheren Seefahrtschule nicht würdig.

Unter Denkmalschutz

Heute aber gehört dieses klassische Gebäude zu den wichtigsten Baudenkmälern des Antwerpener Hafens. Es steht bereits seit längerem unter Denkmalschutz. In den kommenden Jahren wird die Höhere Seefahrtschule durch einen Neubau ergänzt, der aber an der klassischen Struktur nichts verändern wird. An den Tagen des Offenen Denkmals ist die Schule manchmal zu besichtigen. Ein Besuch lohnt sich auch wegen der umfangreichen und seefahrtgebundenen Kunstsammlung, die das Haus beherbergt.

Darunter sind in der Eingangshalle angebrachte monumentale Gemälde der Seefahrtmaler Taf Wallet und Julien Creytens aus dem Jahr 1934, die auch auf die Schifffahrtsverbindungen in die Kolonien z.B. mit dem Kongo verweisen. Das Thema „Belgien und Übersee“ wurde damals in den 1930er Jahren eindeutig mit der See- und Handelsschifffahrt in Verbindung gebracht, was diese Kunstwerke deutlich untermalen.

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Die Höhere Seefahrtschule und ihre Unterrichte

Rund 600 Studierende, Jungs und Mädchen, sind derzeit in der Seefahrtschule eingeschrieben. Hier werden Bachelor- und Master-Studiengänge angeboten, die vor allem mit nautischen Wissenschaften zu tun haben, aber auch spezifisch mit der Maschinentechnik von Schiffen. Die Kurse werden in einer ersten Phase in getrennten Klassen in Französisch und in Niederländisch angeboten, während gegen Ende des jeweiligen Studiums in Englisch bzw. im englischen maritimen Fachjargon doziert wird, wo die verschiedenen Sprachengruppen zusammen sind.

55 % der Studierenden sind niederländisch-sprachig und kommen aus Flandern oder aus den Niederlanden. 45 % der angehenden Seeleute sind frankophon und kommen aus der gesamten französischsprachigen Welt, vor allem aus Belgien und aus Frankreich.

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Besonders bei Franzosen ist die Höhere Seefahrtschule beliebt und dies nicht nur wegen ihres hohen Standards. In Frankreich, z.B. an der Seefahrtschule in Le Havre, müssen sich die Studenten um einen Studienplatz bewerben und damit bestimmte Auswahlkriterien erfüllen. Das ist in Antwerpen nicht der Fall, denn hier sind die angebotenen Kurse ausdrücklich international ausgerichtet.

Im laufenden Studienjahr 2017/2018 sind 60% der hier Studierenden Belgier und 40 % kommen aus dem Ausland. 19 % sind junge Frauen, von denen die allermeisten wohl später auf einem Kreuzfahrtschiff um die Welt fahren möchten. Nur recht wenige der Studenten belegen technische Kurse. Diese lernen den Umgang an klassischen Schiffsdieselmotoren im Keller der Schule (Foto unten). Im laufenden akademischen Jahr sind 25 Studierende von der belgischen Marine hier angemeldet worden.

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Übrigens, alle der hier Studierenden tragen eine Uniform in typischem Marineblau mit weißen Hemden. Dies verleiht ihnen schon jetzt ein Seefahreraussehen. Die Gemeinschaft der Studierenden und der Dozenten ist klein und jeder kennt hier jeden. Die Stimmung ist gut und weist auf eine auf sich eingeschworene kleine aber weltoffene Gesellschaft hin.

Alle haben hier nur ein Ziel: Irgendwann einmal zur See fahren zu können. Im ersten Studienjahr gehen alle hier Studierenden für mehrere Wochen an Bord eines klassischen Schulschiffs. Da die „Mercator“ nicht mehr fahren kann, mietet die Höhere Seefahrtschule dazu einmal im Jahr den in den 1980er Jahren auf der Danziger Werft gebauten polnischen Dreimaster „Dar Mlodziezy“ (Foto unten).

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