Kreativ aus dem Koffer: Diplomatenkunst in Belgien

In der europäischen Hauptstadt ist die Konzentration der Diplomaten so hoch wie nirgendwo sonst auf der Welt. 5.400 Diplomaten und ihre Angehörigen leben in Brüssel. Alle paar Jahre wechseln sie an einen anderen Ort. Um ihnen und ihren Familien zu helfen, Zugang zur Kulturszene vor Ort zu verschaffen, wurde vor zwei Jahren der "Brussels Circle of Diplomatic Artists" gegründet. Diese Gruppe Kunstschaffender aus aller Welt stellt derzeit ihre "Brussels Inspirations" in Belgien aus: Gemälde, Zeichnungen, Fotografie, Schmuck, Dekor, Skurriles oder Surreales, alles ist erlaubt, jeder Kunstinteressierte darf teilnehmen, solange ein Diplomatie-Bezug gegeben ist. Und sobald der diplomatische Koffer an einem Ort aufgeht, kommen erstaunliche Talente und großer Ideenreichtum zum Vorschein, denn kreativ ist er, unser Diplomaten-Kreis in Brüssel!

Die Mehrzahl der hier ausstellenden Kunstschaffenden, die in diesem Jahr mit 13 verschiedenen Nationen vertreten sind, macht nicht nur Teil der Diplomatischen Community in Brüssel aus, vor allem gehen die Künstler diplomatisch zu Werke und diese Kunst reist mit, wenn sie alle drei bis vier Jahre in ein anderes Land weiterziehen.

Selbst wenn man etwas an Belgien auszusetzen hätte, würde man es hier nicht aussprechen, erzählt eine der 24 teilnehmenden Künstlerinnen. Die Werke in dieser Ausstellung im Atelier29, mitten im Europaviertel, sind deshalb überwiegend positiv und nur selten dem Gastland gegenüber kritisch.

"Wir sind von Natur aus positiv eingestellt und können uns überall einfinden", so die Französin Noémie Villedey, die mit ihrem Mann, ausnahmsweise kein Diplomat, sondern in der Privatwirtschaft tätig und ihren fünf Kindern schon in vielen Ländern gelebt hat. Sie illustriert gemeinsam mit ihrer Schwester, Alix Fresson, die zur Zeit ebenfalls mit ihrem Mann, einem Diplomaten, samt Kindern in Brüssel lebt, Kinderbücher. Einer ihrer Titel "Hide and Seek in Brussels" zeigt die "für sie als Ausländer wichtigsten Kennzeichen von Brüssel", darunter Atomium und Manneken Pis.

Das Büchlein ähnelt einer Ansammlung von aufklappbaren Postkarten mit surrealistischem Touch, auch sehr belgisch. Es ist eine Art kindergerechter "Reiseführer" bestehend aus Bildern, mit dem sich, wer nur wenig Zeit hat, sehr schnell zurecht finden kann.

"Im Gegensatz zu den Franzosen, nehmen sich die Belgier nicht so ernst, das ist sehr angenehm. Meine Kinder fühlen sich wohl hier. (…) Sie haben ihren Stern, die kleine Sonne die sich dort versteckt hat (sie zeigt auf die Sonne im Karteninneren), gefunden. Doch in 18 Monaten müssen wir schon wieder umziehen, das finden sie gar nicht gut."

Da den meisten nur wenig Zeit in einem Land bleibt, um sich genauer mit seinen kulturellen Gepflogenheiten auseinanderzusetzen, sollten sich die Künstler für diese Ausstellung Gedanken über den Einfluss, den die belgische Hauptstadt auf sie und ihr Schaffen hat, machen. In mindestens einem ihrer Exponate hat sich deshalb irgendwo Brüssel eingeschlichen.

Skurril, aber durchaus praktisch

Wohl eher nicht so diplomatisch war es von den Gästen in Brüssel, ihre Jacken am Eröffnungsabend der Ausstellung auf einen etwas skurrilen Kleiderständer unweit des Eingangs zu hängen. Die Veranstalter mussten die Bügel schnell abhängen, damit sich das durchaus praktische Werk des preisgekrönten Innenarchitekten und Designers aus Estland, Andres Labi, der seiner Frau, einer Diplomatin, nach Brüssel folgte, nicht schon bei der ersten Präsentation abnutzt.

Am Surrealismus orientiert sich auch die in Algerien geborene und in Frankreich groß gewordene Modedesignerin Houria Boutobza. Sie lebte in Italien, Deutschland und Jerusalem und wohnt seit 2014 mit ihrem Mann, einem deutschen Diplomaten, der ebenfalls mit BRUCODA ausstellt, in Brüssel. Houria, die nicht nur Physik und Chemie studiert hat, sondern eben auch Design und Fashion in Mailand und Paris, fällt auf mit ihrem selbst kreierten roten Hut, einem surrealistischen Accessoire auf dem Kopf, bestückt und bestickt mit einem Phantasie-Gesicht.

Doch ihr eigentliches Werk in der Ausstellung ist ein schwarzes Kleid aus Paraplui-Stoff, der sich galant um ein Mannequin windet. Das Skelett eines kaputten Regenschirms dient als Brosche, die das Kleid zusammenhält.

Die Verbindung zu Brüssel? "Ganz eindeutig der Regen", erklärt die Designerin. "Eine junge Frau kommt aus der Disko. Es regnet, sie öffnet ihren Schirm und da es sehr windig ist, klappt der Schirm auf ihrem Körper zu und bedeckt sie. Der Regenschirm wird zu einem Kleid." Im Katalog stellt sie ein zweites Kleid vor, das die Frau nur noch halb bedeckt, "bis es irgendwann ganz verschwindet".

Wie die Künstlerin trägt auch das Mannequin einen Hut, auf dem ein überdimensionales Auge abgebildet ist. Mit ihm hat Houria schon den ersten Preis in einem Museum in Lyon gewonnen.

Die Kunstschaffenden des "Brussels Circle of Diplomatic Artists", die hier ausstellen, haben die unterschiedlichsten Lebensläufe. Der Kreis sei für alle Arten künstlerischer Aktivität offen, betont BRUCODA-Initiator und Koordinator der Ausstellung, Elmar Paltzer von der "Community Liasion Office" der deutschen diplomatischen Vertretungen in Brüssel.

"Ziel ist, eine Plattform für Kunstschaffende innerhalb des diplomatischen Corps anzubieten und vielen ständig umziehenden Mitgliedern Zugang zur Kulturszene in Belgien zu verschaffen", erklärt Paltzer.

Flämische Spielerei und ernsthafte Nachdenklichkeit

Doch auch ein Flame aus Limburg hat sich BRUCODA angeschlossen und stellt im Atelier29 aus: Henry Savenay, der in seinen Kollagen digitale Techniken und Photographie verarbeitet und der immer wieder die Farbe Grün hervorhebt, "eine Spielerei" wie er selber sagt.

Nicht verspielt, sondern traurig und ernst, sind Anita Schwabs „Gedanken über den Tod“, die ihre Stimmung nach den Terroranschlägen in Paris, Brüssel und Deutschland wiederspiegelt. Doch der Optimismus komme stets zurück, genau wie der wunderschöne blaue Himmel über Brüssel, wie sie im Katalog der Ausstellung ihr Werk und ihre eigene Person beschreibt.

Ein kritisches Kunstwerk ist dann doch noch zu finden. Es ist das der deutschen Journalistin und Künstlerin Renate Kohl-Wachter, die sich wegen ihres Mannes, ein EU-Beamter, einst in Brüssel niederließ.

Diplomatie hin oder her, manche Dinge müssen einfach mal angesprochen werden, zum Beispiel mit der Frau auf Renates Gemälde, die nach Luft schnappt, weil sie in der "Rue de la Loi" (Wetstraat) – so heißt ihr Werk - vor lauter Autoabgasen keine mehr bekommt.

Brüsseler Inspiration

Woher all die Brüsseler Inspirationen für die Ausstellung mit dem Titel "Brussels Inspirations" stammen?

"Sie ergeben sich manchmal ganz konkret aus dem Besuch von Kunstschulen und Akademien, die es reichlich und von großer Qualität in Belgien gibt", heißt es bei mehreren Künstlern der Ausstellung. Unterstützt wird der Künstlerkreis des Brussels Cercle of Diplomatic Arts BRUCODA u.a. von "Welcome to Belgium", einer Einrichtung des belgischen Außenministeriums unter Präsidentin Sophie Tilemans sowie von Alain Hutchinson, Brüssels "Commissioner for Europe and International Organisations" und zahlreichen weiteren Sponsoren.

Die Kuratorin der sich über zwei Stockwerke ausdehnende 2. Ausgabe der Ausstellung ist Dr. Jasmin Gong-Fleischer, selbst Frau eines deutschen Diplomaten. Sie findet: "Brüssel ist klein, aber kosmopolitisch", das mache den Ort in jedem Fall attraktiv für Ausstellungen.

Die Ausstellung im Atelier29 in der Rue Jacques de Lalaing 29 in Brüssel läuft noch bis zum 18. Mai 2017.

Öffnungszeiten: Täglich von 11 - 18 Uhr, am Dienstag, 16.05., bis 21 Uhr und am Donnerstag, 18.05., bis 15 Uhr.

"Mother and Child" von Alex Dampney (UK)

Der Ausstellungsort in Brüssel

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