Große Herausforderungen für Bahnchefin Dutordoir

Seit einem halben Jahr steht die frühere Proximus-Chefin und kurzzeitige Feinkosthändlerin Sophie Dutordoir (Foto) an der Spitze der belgischen Bahngesellschaft NMBS/SNCB. In der vergangenen Woche legte sie dem belgischen Bundesparlament ihre Ansichten und ihre Vorhaben vor. Gleichzeitig fand die bisherige Unternehmensstruktur bei der Bahn bei ihr keine Gnade (siehe nebenstehenden Beitrag).

Doch wo liegen die großen Herausforderungen für die neue CEO der NMBS/SNCB und für die Bahn selbst? Um die Bahn fit für die Zukunft zu machen, steht in den kommenden Jahren einiges an.

Mehr und schnellere Züge

Im neuen Verkehrsplan, den NMBS-CEO Sophie Dutordoir letzte Woche vorlegte, soll das Zugangebot für Reisende und Pendler in den kommenden Jahre um 5,1 % gesteigert werden. Hauptsächlich wird dies der Fall rund um die Ballungsräume und die großen Städte der Fall sein.

Ab Dezember, wenn der nächste Fahrplanwechsel ansteht, soll das Vorhaben umgesetzt werden, die Fahrzeiten um durchschnittlich 3 % zu senken. Das bedeutet, dass die Fahrgäste in absehbarer Zeit mehr und schnellere Züge zur Verfügung haben sollen.

Pünktlichkeit und bessere Information

Zu den Prioritäten der neuen Bahnchefin gehören nach eigenen Aussagen: „Sicherheit, Pünktlichkeit und eine Real-Time-Kommunikation mit dem Fahrgast“. Gerade um die Pünktlichkeit ist es in den letzten Jahren wieder etwas schlechter gestellt. Das der Pünktlichkeitsgrad der NMBS bei 90 % liegen soll, glauben nur wenige der verärgerten Pendler und der Bahn selbst reicht dieser Wert nicht. Verschiedene Maßnahmen, um die Zugfahrten pünktlicher zu gestalten, hätten in der Vergangenheit zu Erfolgen geführt, doch Baumaßnahmen und „höhere Gewalt“ oder „von Dritten verursachte Probleme“ seien nicht zu vermeiden, hieß es dazu.

Doch wenn Probleme vorliegen, wollen die Fahrgäste wissen, was los ist, damit sie sich darauf einrichten sollen (Anschlüsse, umsteigen…). Dies will CEO Dutordoir mit einer Personalaufstockung und mit besserer Ausrüstung in der bahneigenen Kommunikations-Abteilung erreichen.

Höhere Produktivität beim Personal

In den kommenden Jahren soll die Produktivität der belgischen Eisenbahner um jeweils 4 % steigen. Damit soll die um 20 % verringerte staatliche Dotation bei der NMBS aufgefangen werden. Das bedeutet schlicht und einfach für die Mitarbeiter der Bahn, mehr zu arbeiten. Dutordoirs Vorgänger Jo Cornu konnte einige Maßnahmen durchdrücken, doch damit gingen heftige Konflikte mit den Sozialpartner, sprich mit den Gewerkschaften einher. Dass die veraltete und starre Struktur mit ihrer aufwändigen Bürokratie bei der NMBS modernisiert werden muss, ist keine Frage, doch einfach wird dies nicht.

Die Gewerkschaften mit ins Boot (oder in den Zug) nehmen

Die Frage ist, wieviel Spielraum wird die neue Bahnchefin haben, um diese Struktur zu verändern, zu modernisieren. Das hängt zu einem gewissen Maße an der Gestaltungsfreiheit, die ihr die Politik bietet (der belgische Staat ist weiter Hauptaktionär der Bahn). Doch auch die Gewerkschaften müssen dabei mitspielen. Bis auf den „Reaktionstag“ am 10. Oktober blieben sie recht ruhig und streikten kaum. Einige Gewerkschaften setzen ohnehin auf Dialog und verzichteten auf eine Teilnahme am „Reaktionstag“.

Doch inwiefern sie zu weitgehenden Zugeständnissen bereit sind, bleibt eine offene Frage. Als Stolperseine können sich die politische Forderung nach einer Mindest-Dienstleistung im Streikfall und die weiteren Schritte in Richtung Privatisierung der Bahn erweisen. Eine weitere Herausforderung ist die Tatsache, dass der Verwaltungsrat der NMBS paritätisch politisch zusammengestellt. Auch der Umgang mit diesen Vertretern des Mehrheitsaktionärs wird für die Bahnchefin eine enorme Herausforderung.

Der Haushalt muss stimmen

Die belgische Bahn sitzt bereits seit Jahrzehnten auf einem Schuldenberg von 2,98 Mia. € (netto). Viele Einnahmen müssen nach wie vor zum Abbau dieser Schulden verwendet werden. Die NMBS braucht also weitere Einkommensmöglichkeiten. Der Staat steht hier nicht zur Verfügung, im Gegenteil.

Oben wurde bereits erwählt, dass die Dotationen aus Richtung Brüssel um 20 % gesenkt werden. Wo soll das Geld herkommen? Zum einen will sich die Bahn von Teilen ihres Immobilienbesitzes trennen. Zum anderen könnten die Fahrpreise angehoben werden. In der letzten Zeit wurden Millionen an missglückten Investitionen und Projekten rausgeworfen. Einige Projekte wurden bereits beendet oder auf Eis gelegt.

Immobilien: Inventur und/oder Verkauf

Die belgische Bundesregierung gab den Wirtschaftsberatern von PwC unlängst den Auftrag, eine Bestandaufnahme des Immobilienbesitzes der belgischen Bahngesellschaft NMBS/SNCB aufzustellen. Geplant ist, bis Ende des laufenden Jahres zu wissen, was von diesem Besitz noch gebraucht wird und was eventuell zu Geld gemacht werden könnte. Der Holding der NMBS/SNCB wurde unlängst der gesamte Immobilienbesitz der Bahnkonzerns überschrieben. Damit wurde die Bahn zum größten Immobilienbesitzer des Landes: 1.774 Gebäude und 14.530 Grundstücke sprechen für sich. Fachleute sind der Ansicht, dass sich der Gesamtwert dieses Patrimoniums auf gut und gerne 20 Mia. € belaufen könnte.

Nach Ansicht von Bundesverkehrsminister François Bellot (MR) gehört Immobilienverwaltung nicht zu den Kernaufgaben einer Eisenbahngesellschaft. Ziel ist, einige nicht mehr zu nutzende Gebäude ohne großen bürokratischen Aufwand z.B. Städten oder Gemeinden anzubieten. Dies könnte der Fall bei einigen modernen aber nicht wirklich verwendbaren Bürotürmen am Bahnhof Brüssel Süd/Midi sein. Der historische Wasserturm und sein Nebengebäude unweit von Thurn und Taxis im Brüsseler Norden (Foto unten) soll an das Sozialhilfezentrum der Hauptstadt veräußert werden, um dort Büros und Sozialwohnungen einrichten zu können.

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