"Ingenieure gesucht", ein Paradox in Flandern

Agoria, der Technologie- und Industrieverband in Flandern, ist nach eigenen Angaben auf der Suche nach bis zu 5.000 Ingenieuren und Facharbeitern. Gleichzeitig sind beim flämischen Arbeitsamt VDAB rund 2.400 Ingenieure auf der Suche nach einem neuen Arbeitsplatz. Wie kommt dies zustande? Darauf soll ein Modellprojekt zwischen Behörden, Industrie und Universitäten eine Antwort finden.

Über 5.000 offene Stellen für Ingenieure stehen im belgischen Bundesland Flandern knapp 2.400 Arbeit suchende Ingenieuren gegenüber. Dieses Paradox hat seinen Grund im Missverhältnis zwischen dem, was die Industrie an Ansprüchen stellt und dem, was Ingenieure auf Arbeitsuche zu bieten haben, vor allem, wenn sie schon länger nach einem neuen Job suchen, stellt die Löwener Universität (KU Leuven) dazu fest.

Die (Hoch)Technologie entwickelt sich rasend schnell, Strukturen und die technischen Rahmenbedingungen verändern sich fortlaufend. Digitalisierung und die Einführung von mehr Robotern in der Produktion tun ihr übriges, um zu dieser Schieflage auf dem flämischen Arbeitsmarkt zu führen.

Einer von drei in Flandern Arbeit suchenden Ingenieuren ist bereits länger als ein Jahr auf Jobsuche und die gleiche Anzahl der arbeitslosen Ingenieure ist zudem älter als 50 Jahre. Das sind zusätzliche Handicaps am Arbeitsmarkt.

Die Industrie stellt lieber junge Fachkräfte ein, die gerade ein Studium abgeschlossen haben und die auf dem neuesten Stand der Technik sind. Hinzu kommt noch, dass ältere Fachkräfte zwar Erfahrung mitbringen, jedoch lohn- oder gehaltsmäßig teurer sind, als der junge Nachwuchs.

Duale Ausbildung für Langzeitarbeitslose

Doch jetzt ist auf dieser Ebene bei der Suche nach Ingenieuren und anderen technischen Fachkräften ein kritischer Punkt, ein Engpass erreicht. Das flämische Arbeitsamt VDAB hat jetzt gemeinsam mit dem Industrieverband Agoria und mit den Universitäten im Land ein Projekt ins Leben gerufen, dass eine duale Aus- bzw. Weiterbildung von länger arbeitslosen Ingenieuren bietet. Das bedeutet, dass die Betroffenen für die Dauer von vier Monaten umgeschult werden und zwar teilweise an einer Uni und zur praktischen Umsetzung des Gelernten in einem Betrieb. Dabei behalten sie für die Dauer dieser Umschulung ihr Arbeitslosengeld.

Vorteil dabei ist, dass diese Umschüler sofort Eigenverantwortung bekommen und nicht als reine Ausführungskräfte gebraucht werden dürfen. Schließlich sollen sie in jeder Hinsicht beweisen können, was sie Wert sind und welche Erfahrungen sie auch im Umgang mit anderen Menschen am Arbeitsplatz mitbringen. Aktiver Teilnehmer in diesem flämischen Projekt ist übrigens Audi in Brüssel. Hier sollen auf Dauer aus Deutschland mitgebrachte Ingenieure wieder in ihre Heimat zurückkehren und müssen durch hiesige Fachkräfte ersetzt werden. Audi Brüssel ist auch bereits bei der dualen Ausbildung von Jugendlichen aktiv.

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Handicap für die Zukunft? Weniger Technikstudenten

Nach fünf Jahren steigenden Zahlen sind zu Beginn des neuen Studienjahres die Einschreibungen für technische Fächer an den flämischen Universitäten und Hochschulen zum ersten Mal wieder zurückgegangen. Seltsam eigentlich, denn nach Angaben des Technologieverbandes Agoria werden derzeit z.B. rund 9.000 Facharbeiter und Techniker gesucht - 4.000 IT-Kräfte und, siehe oben, 5.000 Ingenieure.

Das bedeutet, dass Bewerber in diesen Bereichen nach Abschluss ihres Studiums nicht lange nach einem Job suchen müssen. Flanderns Landesbildungsministerin Hilde Crevits (CD&V) will jetzt versuchen, dass technische Berufe in der Gesellschaft wieder mehr Wertschätzung erhalten. Dies soll bereits in der Mittelstufe während der Schulzeit beginnen, so die Ministerin. Nichts anderes fordern die betroffenen Sektoren nicht erst seit gestern.

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