Droht Zeebrugge ein Niedergang wie Brügge?

Der einst mächtige und reiche Handelsplatz Brügge verlor seine Vormachtstellung Ende des 15. Jahrhunderts durch die Versandung der „Zwin“ und durch politische Streitigkeiten mit Burgund. Später suchte die neu entstehende Industrie in Brügge einen neuen Zugang zur Nordsee und so entstand nach der belgischen Staatsgründung der Hafen von Zeebrugge. Doch auch diesem Standort drohen schwere Zeiten und der Übeltäter heißt „Brexit“.

Brügges Niedergang

Die Potterierei ist eine Gracht, die aus Richtung historisches Zentrum der alten Handelsstadt Brügge den kleinen idyllischen Nachbarort Damme erreicht. Von dort aus bot die Schleuse „Speie“ einen Anschluss an den „Zwin“, der mit seiner tiefen Fahrrinne eine ideale Verbindung mit der Nordseeküste bot. Dieser Wasserweg war Jahrhunderte lang die Grundlage für den Reichtum Brügges. Damme war damals eine Art Vorhafen für Brügge und profitierte von seiner reichen Nachbarstadt.

Doch zwei Schicksalsschläge brachten das Ende für Brügge als internationalem Handelsplatz und für Damme als Vorhafen dieser Metropole. Zum Ende des 15. Jahrhunderts versandete der Zwin. Brügge war damit von der Nordsee abgeschnitten. Der burgundische Hof zog sich nach Zerwürfnissen mit den Brügger Stadtvätern aus der Stadt zurück und Maximilian von Burgund beschränkte die Rechte der Stadt. Daraufhin zogen auch die reichen Händler und Kaufleute die Stadt. Brügge verlor durch die unvorhergesehenen Geschicke der Natur und aus politischen Gründen seine Vormachtstellung in Flandern an Antwerpen, das über die Schelde mit der Nordsee verbunden war und noch stets ist.

Brügge verarmte und kam von 1524 bis 1713 unter spanische Herrschaft. Die Hugenottenkriege trugen weiter zum Verfall bei. In der Stadt herrschte über Jahrhunderte Stillstand; nacheinander herrschten hier das Kaiserhaus Habsburg (1713 bis 1795), Frankreich (1795 bis 1815) und die Niederlande (bis 1830) über Brügge.

Wirft der Brexit Zeebrugge Sand ins Getriebe?

Zeebrugge entstand aus einem Fischerdorf an der Nordsee und gehört zum dörflichen Brügger Ortsteil Lissewege. Etwa um 1870 war Brügge wieder völlig von Landmassen umschlossen. Die in der Stadt neu entstehende Industrie suchte aber nach einem neuen Zugang zur Nordsee, um insbesondere den Handel mit England effektiver abwickeln zu können. Ab 1892 begann deshalb der Ausbau des neuen Überseehafens Zeebrugge. Der erste Hafenkomplex wurde 1907 vom belgischen König Leopold II. eingeweiht.

Zeebrugge ist heute nach Antwerpen der zweitgrößte Seehafen und nach Gent der drittgrößte Hafen Belgiens. Über den Boudewijnkanaal, ein zwölf Kilometer langer, für Seeschiffe befahrbarer Kanal sind Brügge und Zeebrugge heute miteinander verbunden. Dieser Kanal wurde zwischen 1896 und 1905 angelegt. Heute ist er der direkte Wasserweg für die Industrie Brügges in Richtung Zeebrugge.

Zeebrugge ist in erster Linie ein wichtiger Hafen für den Transport von neuen Automobilen aus und nach Europa. Von den 2,8 Mio. Autos, die im Hafen abgefertigt werden, kommt 1 Mio. aus Großbritannien oder wird dorthin exportiert. Hauptsächlich handelt es sich dabei um deutsche oder französische Autos. Eigentlich ist Zeebrugge der größte Autohafen Europas.

Eine sehr wichtige Rolle spielt auch der RoRo-Verkehr (roll on-roll off) für den LKW-Verkehr auf die britischen Inseln. Doch auch der Containerbereich nimmt weiter zu. Der Hafen ist mit einer Anbindung an das internationale Autobahnnetz und über das dichte belgische Eisenbahnnetz ein wichtiges Drehkreuz. Allerdings drückt der nahende Brexit auf die Gemüter, denn ein Rückgang des Exports vom europäischen Festland nach Großbritannien würde diesen Hafen deutlich treffen.

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Ein Autofrachter läuft in Zeebrugge ein

"Britischer" Hafen?

Hafenchef Joachim Coens nennt seien Hafen schon seit langem einen „britischen“ Hafen, weil 45 % der dort umgeschlagenen Waren mit Großbritannien zu tun haben. Das sind aktuell jährlich rund 17 Mio. Tonnen. Der Ausstieg Großbritanniens aus der Europäischen Union stellt für Zeebrugge eine viel größere Bedrohung dar, als z.B. für die auf den Weltmarkt ausgerichteten Häfen Antwerpen, Rotterdam, Calais oder Dünkirchen.

Falls die Briten nach dem Austritt aus der EU hohe Einfuhrzölle erheben, wird der Hafen von Zeebrugge in Schieflage geraten. Hafenchef Coens hofft, dass sich die EU und Großbritannien schnell auf ein Freihandelsabkommen verständigen. Dieses Thema besprachen auch Flanderns Ministerpräsident Geert Bourgeois (N-VA) und Großbritanniens Außenminister Boris Johnson bei einem Treffen in Brüssel Anfang März.

Ein weiteres Problem für die belgische Exportwirtschaft, die Einfuhrzölle der Welthandelsorganisation zahlen muss, ist eine daraus resultierende zusätzliche Steuerbelastung von jährlich bis zu 1,6 Mia. €. Das macht Waren aus dem europäischen Festland in Großbritannien erheblich teurer und könnte zur Folge haben, dass die europäischen Hersteller andere Absatzmärkte suchen und den Hafen von Zeebrugge in Zukunft links liegen lassen, weil eben die Briten für sie nicht mehr wirtschaftlich interessant sind.

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